06. DEPORTATIONEN UND INTERNIERUNGEN

Urheberrechte: Michele D’Ottavio, 2010. © MuseoTorino

Aha, jetzt sind wir bei Fiat, das erkenne ich am Markenzeichen des berühmten „Fünfhunderter“-Herstellers.

Ja, wir sind hier, weil das Fiat-Werk eine Schlüsselfunktion für die Opposition zum Regime einnahm. Schon im März 1943, noch vor der Landung der Alliierten auf Sizilien und der Absetzung Mussolinis, traten die Arbeiter in Streik gegen den Krieg und gegen den Faschismus, den sie als Kriegsursache betrachteten. Von Turin ausgehend breitete sich der Protest auf die anderen Industriestädte Norditaliens aus.

Episoden des Widerstands also …

Genau, am Anfang standen wirtschaftliche Forderungen. Mit der Gründung der Republik von Salò und infolge der deutschen Besatzung nahm die Protestbewegung dann zunehmend politische Züge an. Ein Jahr später, im März 1944, wurde in ganz Mittel- und Oberitalien der Generalstreik ausgerufen. In den Turiner Werken, so wie hier bei Mirafiori, hat sich eine bedeutende Zahl von Arbeitern beteiligt, nämlich rund 70.000.

Ein Streik mitten im Krieg … hatte das Konsequenzen?

Ja, und zwar sehr harte: Nationalsozialisten und Faschisten reagierten umgehend und gemeinsam mit flächendeckenden Aktionen, bei denen sie von Haus zu Haus gingen und die Arbeiter verhafteten. Viele von ihnen wurden vom Bahnhof Porta Nuova aus in die Konzentrationslager deportiert. Stell dir vor, dass allein von Turin aus 400 Personen verschickt wurden, von denen 150 bei Fiat gearbeitet hatten. Und das ist nur ein Beispiel für das, was in allen Regionen Mittel- und Norditaliens geschah!

Urheberrechte: Fondazione Istituto piemontese A. Gramsci, dall’Archivio fotografico della Federazione torinese del Pci.

GESCHICHTE

Die Deportation in die Gebiete unter deutscher Kontrolle betrifft tausende italienischer Bürger.

Neben den Juden werden fast 24.000 Menschen als politische Deportierte klassifiziert (Partisanen, Antifaschisten, Streikende, Kriegsdienstverweigerer, Dissidenten, darunter auch 1500 Frauen) und in die Konzentrationslager verschickt.

Weitere 10.000 Gefangene verbleiben in den seit 1940 von den Faschisten auf italienischem Boden geschaffenen Lagern, wie zum Beispiel Fossoli. Mit Beginn der deutschen Besatzung ab 1943 fungieren diese Strukturen als Durchgangslager, die von Nationalsozialisten und Faschisten zusammen verwaltet werden.

Von den zirka 810.000 italienischen Soldaten, die nach dem Waffenstillstand ( 8. September 1943) in deutsche Gefangenschaft geraten sind, werden 630.000 in Gefangenenlager in Polen und Deutschland deportiert: Sie werden als italienische Militärinternierte (IMI) eingestuft geführt, um ihnen nicht den Status von Kriegsgefangenen zuerkennen zu müssen und sie von der Betreuung durch das Rote Kreuz auszuschließen. Viele von ihnen werden als Zwangsarbeiter in der Kriegswirtschaft eingesetzt.

Schließlich werden zirka 200.000 Italiener – davon etwa jeweils die Hälfte bei Razzien gefangen genommene Bürger und in den Vorjahren freiwillig aufgebrochene und ab Juli 1943 zwangsweise festgesetzte Arbeitskräfte – zur Zwangsarbeit im Reich genötigt.

ERINNERUNG

Auch die Erinnerung an die Deportationen aus Italien ist fragmentarisch. Die Rückkehr der Deportierten bei Kriegsende war ein langer Leidensweg: Ihre Wiedereingliederung wurde durch die Probleme erschwert, Zeugnis von ihrem Schicksal abzulegen.

Das Bild vom siegreich kämpfenden Partisanen überwog im offiziellen Narrativ der unmittelbaren Nachkriegszeit. Im Laufe der Jahrzehnte hat jedoch das öffentliche Interesse für die politische Deportation zugenommen.

Im Jahr 2000 wurde der 27. Januar, Datum der Befreiung von Auschwitz, zum Holocaust-Gedenktag für die Opfer der Shoah und der politischen und militärischen Deportation bestimmt. Dies hat den Opfern der Deportation neue Aufmerksamkeit verliehen und viele Projekte angestoßen, wie etwa das Setzen der Stolpersteine, die nun in ganz Europa verbreitet sind, um der Opfer von Verfolgungen und der nationalsozialistischen und faschistischen Vernichtung zu gedenken.

Auf öffentlicher Ebene ist jedoch die Erinnerung an die Deportation aus Rassegründen stärker ins Bewusstsein eingedrungen. Ein nationaler Bewusstwerdungsprozess, der die italienische Mitschuld an den Deportationen anerkennt, ist erneut in die Zukunft verschoben worden.

Schließlich sind auch die Geschichten der italienischen Militärinternierten (IMI), trotz deren großer Zahl und Bedeutsamkeit, erst ab den 1990er Jahren zum Gegenstand systematischer Studien geworden.

Sehenswürdigkeiten

Film- und Literaturtipps

Diario clandestino

Buch

(Giovannino Guareschi, 1949)

L’altra Resistenza: i militari italiani internati in Germania

Buch

(Alessandro Natta, 1997)

Mehr erfahren

Intervista a Gianfranco Maris
Cronologia scioperi 1943-45